Ein kurzer Abriss über Erkrankung und Epidemiologie der Hepatitis B

  • Hepatitis B-Virus

  • Ausscheidung des Virus während der Erkrankung in allen Körperflüssigkeiten, jedoch in deutlich unterschiedlichen Konzentrationen

  • "... die Übertragung [erfolgt] in Niedrigprävalenzgebieten wie Westeuropa überwiegend über Risikoverhalten wie Sexualverkehr und intravenösen (i.v.) Drogengebrauch" (RKI 2018) oder, noch allgemeiner "vorwiegend sexuell und durch Kontakt mit kontaminiertem Blut oder anderen Körperflüssigkeiten (z. B. Sperma und Vaginalsekret)" (RKI 2021).
  • Damit ist ein Schutz gegen HB in Ländern wie Deutschland frühestens in der Pubertät wirklich relevant - die Frage, inwieweit dies aber durch eine Impfung im Säuglingsalter gewährleistet wird, ist unklar - die Studienlage  widersprüchlich:

    • Bei einer Grundimmunisierung im Erwachsenenalter entwickeln über 90% der Geimpften einen jahrzehntelangen, wahrscheinlich sogar lebenslangen Schutz durch Ausbildung der für die Wirkung der Hepatitis B-Impfung entscheidenden zellulären Immunität (s. hier).

    • Nicht wenige Studien weisen darauf hin, dass eben dieses immunologische Gedächtnis bei der Grundimmunisierung im Säuglingsalter bis zur Pubertät in vielen Fällen (je nach Studie 30 - 80%) wieder verloren gegangen ist und daher ein Schutz vor der Infektion nicht mehr besteht (Zhu 2011, Jan 2010, Petersen 2004). Andere Untersuchungen dokumentieren jedoch durchaus einen jahrzehntelangen Schutz auch nach einer so frühen Grundimmunisierung (Bini 2017).

  • Inkubationszeit 40 - 160 Tage

  • Bei Kindern oft symptomloser/armer oder uncharakteristischer Verlauf

  • Unspezifischer Beginn mit allgemeinem Krankheitsgefühl, oft Gelenkbeschwerden, Muskelschmerzen, ...

  • Im typischen Fall dann zunehmende Oberbauchbeschwerden, Übelkeit, Gelbsucht

Die Hepatits B ist weltweit endemisch, d. h. sie kommt weltweit ständig vor, man unterscheidet:

  • Hochprävalenzgebiete (hohe Durchseuchung/Erkrankungszahlen): hier liegt die maximale Neuerkrankungsrate (Inzidenz) im Kindesalter.

  • Niedrigprävalenzgebiete (niedrige Durchseuchung/Erkrankungs­zahlen): Die Infektion im Kindesalter ist hier die Ausnahme, das Inzidenzmaximum liegt im Jugendlichen und Erwachsenenalter - Westeuropa und USA sind Niedrigprävalenzgebiete (RKI 2017).

Situation in Deutschland

Insgesamt spielt die HB bei Kindern und Jugendlichen unter 15 Jahren in Deutschland eine absolut untergeordnete Rolle, was der Vergleich zu den Gesamtfallzahlen nachdrücklich zeigt:

HepB  in D

Bei diesen ohnehin geringen Fallzahlen sind deutschstämmige Kinder nochmals deutlich weniger vertreten: eine Studie des RKI selbst aus dem Jahr 2011 zeigte, dass vor allem Kinder mit Migrationshintergrund (erste und zweite Generation, vor allem aber erste Generation und wenn beide Eltern aus entsprechenden Risikoländern stammen) betroffen sind - deren Risiko zu erkranken ist etwa zehnmal höher als das deutschstämmiger Kinder (Cai 2011). Im Erwachsenenalter ist eine aktive Hepatits B in dieser Bevölkerungsgruppe  (Migrationshintergrund) um den Faktor zehn höher als in der "Normalbevölkerung" (RKI 2018).

Auch in den Jahren 2015 - 2018 zu beobachtende Zunahme der Hepatitis B-Fälle in Deutschland wird vom RKI als zumindest teilweise durch Asylsuchende bedingt erklärt (RKI 2022, RKI 2017 - der Rest ist lt. RKI durch eine Änderung der Fallerfassung bedingt...): in vielen Bundesländern werden Asylsuchende schon bei der Erstaufnahme auf Hepatitis B untersucht und viele von ihnen kommen aus Hochprävalenzgebieten. Das RKI erklärt in der zitierten Übersichtsveröffentlichung auch die Verschiebung des Erkrankungsalters nach unten mit den untersuchten Asylsuchenden, denn bei ihnen liegt das mittlere Erfassungs- (nicht: Erkrankungs-)alter im Mittel bei 25 Jahren.

Damit ist die Hepatitis B die derzeit einzige Erkrankung mit einer relevanten Häufigkeit, deren Auftreten in Deutschland tatsächlich durch asylsuchende Menschen zugenommen hat - das ist allerdings überhaupt nicht gleichbedeutend mit einem erhöhten Ansteckungsrisiko für die Bevölkerung in Deutschland, da die Übertragung wie vom RKI aufgeführt eben durch in der Regel gut steuerbares Verhalten wie Sexualität oder Drogengebrauch erfolgt... . Das zeigt auch die Aufschlüsselung der Hepatitis B-Fälle in Deutschland nach dem Infektionsort und dem Geburtsland der Erfassten: nur knapp 70% aller Ansteckungen fand laut RKI in Deutschland statt, weniger als ein Drittel der Betroffenen ist in Deutschland geboren (RKI 2022).

Insgesamt geht das RKI davon aus "dass seit 2006 die Anzahl übermittelter akuter Infektionen relativ konstant blieb." (RKI 2022).

Ein ungelöstes Rätsel ist in Deutschland die Rolle, die die Mehrfacherfassung des oder der einzelnen Erkrankten mit Hepatitis B durch das deutsche Meldesystem spielt. Grundsätzlich kann durch komplizierte und regelmäßig geänderte Meldevorschriften und eher konservative Übermittlungsverfahren nicht ausgeschlosssen werden, dass ein Teil der Infektionszahlen auch auf diesem Phänomen beruhen. Das RKI selbst modelliert (!) hier zwar einen Anteil von maximal 5% an der erfassten Gesamtzahl, räumt aber ein "Die Frage, ob Mehrfacherfassungen zum Anstieg von Hepatitis-B- und Hepatitis-C-Meldefällen zwischen 2017 und 2022 beigetragen haben, kann nur bedingt beantwortet werden." (RKI 2023)

Im Kindesalter gibt es überproportional häufig chronische Verläufe, diese sind jedoch zu 2/3 perinatalen Ursprungs (d. h. Neugeborene stecken sich unter der Geburt bei der HB-infizierten Mutter an) (Hollinger 1996), also nur durch eine (in Deutschland durchgeführte) gezielte Untersuchung Schwangerer auf HB, nicht jedoch durch die Säuglings-Impfung erreichbar (Meinecke 1998).

In Kindergemeinschaftseinrichtungen besteht kein erhöhtes Übertragungsrisiko (Hurwitz 1994), d. h. die theoretisch denkbaren Übertragungswege wie Verletzungen im Kindesalter, gemeinsam benutztes Geschirr und ähnliches scheinen in der Praxis keine Rolle zu spielen.

Das für die Impfung schon von Säuglingen und Kleinkindern in der Diskussion immer wieder vorgebrachte Argument der möglichen Übertragung durch Nadelstichverletzungen auf öffentlichen Spielplätzen ("Fixerbestecke") entbehrt jeder wissenschaftlichen Substantiierung: in der internationalen Literatur ist bis jetzt genau ein Fall einer solchen Übertragung dokumentiert (Garcia-Algar 1997, Übersicht bei Moore 2018), wobei aktuelle Übersichtsarbeiten darauf hinweisen, dass hier erstens andere Infektionsquellen nicht sicher ausgeschlossen werden konnten und zweitens das betroffene Kind im Anschluss an die Verletzung keine adäquate Impfung erhielt - diese verhindert bei Hepatitis B nämlich auch nach der möglichen Ansteckung sicher den Ausbruch der Erkrankungen (so genannte Postexpositionsprophylaxe). Die Autoren der Übersichtsarbeit kommen nach der Analyse von 1500 entsprechenden Nadelstichverletzungen zu der Schlussfolgerung, das Risiko einer Infektion mit Hepatitis B sei “so low as to possibly be negligible.” (Osowicki 2015, 2014).

Eine Studie aus den Niederlanden von 2009 untersucht speziell die als Argument für die flächendeckende Impfung immer wieder aufgeführte Reduktion der chronischen Hepatitis B-Verläufe (die einen Risikofaktor für ein späteres Leberzellkarzinom darstellen): die Auswirkungen auf deren Häufigkeit blieben - so die Autoren - bei sehr hohen Kosten des Impfprogrammes sehr begrenzt (Kretzschmar 2009).

  • selten akutes Leberversagen

  • bei Erwachsenen kommt es in ca. 5 bis 10% der Fälle (bei Kindern bis 40%, bei Neugeborenen bis 90%) zu einem chronischen Verlauf mit der Gefahr der Schrumpfleber/des chronischen Leberversagens und eventuell später auftretendem Leberkrebs (RKI 2022)

  • Die Letalität beträgt ca. 3% (ca. 1% akut-fulminante HB, je 1% Schrumpfleber/ Leberkrebs, letzterer ist oft mit Cofaktoren wie Hepatitis D- oder C-Coinfektion, ethnologischen Faktoren, Aflatoxin (Schimmelpilzgift)- und Nikotinbelastung assoziiert (Blum 1993, McIntosh 1994, McCruden 1996). Das CDC geht von einer Gesamtletalität von 1,33% aus.

  • die akute Erkrankung wird in der Regel symptomatisch behandelt, chronische oder schwere akute Verläufe können mit Interferonen oder Nukleosid/Nukleotid-Analoga (NUKs) therapiert werden.

  • Pflanzenpräparaten wie Phyllantus amarus führen in bis zu 59% der Fälle zur Ausheilung (Thyagarayan 1988)

  • Die theoretisch-epidemiologisch erforderliche Durchimpfungsrate von anhaltend mehr als 90% ist in Deutschland auch 25 Jahre nach Einführung der Impfempfehlung nicht erreicht (s. hier).

  • Das Problem sind unter anderem auch so genannte  „Non/Hypo-Responder“ (bis 4% der Neugeborenen, bis 10% aller Erwachsenen entwickeln nach der Impfung keine ausreichenden Antikörper-Titer) sowie so genannte „Escape mutants“ (Virusvarianten, gegen die die Impfung nicht schützt (Luongo 2015)) - gerade diesen nehmen offenbar aber im Rahmen flächendeckender Impfkampagnen dramatisch zu: unter der großangelegten Massemimpfkampagne in China zwischen 1992 und 2005 stieg die Häufigkeit dieser Virustypen auf mehr als das Doppelte... (Tao Bian 2013). Dieses Phänomen wurde auch schon früher beobachtet (Carman 1996), allerdings noch nicht in so großem Umfang untersucht.

  • Insgesamt scheint die Ausrottung ein unrealistisches Ziel, insbesondere, wenn man die Situation bei der Hepatitis B mit der offiziell ja ausgerotteten Pocken vergleicht (s. hier): zwei der Kriterien, die für die Ausrottung der Pocken als essentiell angesehen werden, sind bei der Hepatitis B nicht erfüllt:

    • anders als bei den Pocken gibt es bei der Hepatitis B chronische, untypische und unerkannte Verläufe, die ein Ansteckungsrisiko darstellen

    • anders als bei den Pocken erzeugt der Hepatitis B-Impfstoff bei einem relevanten Anteil der Geimpften keine Immunität

  • Ein weiterer Punkt, der die Eradikation der Hepatitis B unwahrscheinlich erscheinen lässt: mittlerweile ist - abweichend von der Annahme und Grundvoraussetzung der WHO, die Hepatitis B käme nur beim Menschen vor - schon die zweite Variante von Hepatitis B-Viren bei Affen nachgewiesen worden (de Carvalho 2018). Und mit dieser jetzt entdeckten zweiten Form konnten zumindest im Laborversuch menschliche Leberzellen infiziert werden - ein klarer Hinweis auf eine mögliche Übertragbarkeit von Affen auf den Menschen (RKI 2018). Sollte sich dieser Verdacht bestätigen, wäre eine Eradikation durch Impfung beim Menschen ohnehin ausgeschlossen.

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